Internationales Outsourcing ohne Irrwege

 

«Euro fällt unter CHF 1.00», «Starker Franken», «Energiekrise» oder «Ukraine-Krieg» – dies ist nur eine kleine Auswahl der Schlagzeilen, die diesen Herbst zu lesen sind. Was kann die Schweizer Fertigungsindustrie unternehmen, um den drohenden Kostenzerfall sowie mögliche Marktnachteile zu umgehen? Eine der wirksamsten Massnahmen: Outsourcing resp. Smart-Sourcing.

 

Lagern Unternehmer Unternehmensaufgaben und -strukturen an externe Dienstleister aus, so spricht man von Outsourcing. Neu werden bis dato intern erbrachte Leistungen von Drittfirmen bezogen. Dauer und Gegenstand der Leistung werden dabei jeweils vertraglich fixiert. Nicht selten werden strategische Volumengeschäfte oder gleich ganze Fertigungsbereiche in den Euroraum, aber auch in sogenannte Low-Cost-Länder – meist nach Mittel- und Osteuropa – ausgelagert.

Aber Achtung: Eine internationale Beschaffung erfordert ein ganz anderes Vorgehen als bei Einkäufen von Waren und Dienstleistungen aus der nächsten Umgebung. Bevor also überhaupt an Outsourcing zu denken ist, sollten erst einmal eingehend die eigenen Voraussetzungen und Möglichkeiten analysiert werden.

Erst reflektieren, dann agieren

Nicht jede Firma kann international outsourcen. Gewisse Voraussetzungen wie z. B. der Produktmix oder die Firmengrösse müssen daher vorab gut geprüft werden. Für Mittel- und Osteuropa sind zudem insbesondere die angebotenen Ausgangsmaterialien und Fertigungsprozesse zu beachten. Oftmals sind lokale Anbieter stark auf kleinere bis mittlere Stückzahlen spezialisiert. Sie verfügen nämlich in Bezug auf die manuelle Fertigung meistens über eine bessere Expertise als hochentwickelte Industrieländer – auch aufgrund der tiefen Lohnkosten. Wichtig ist, dass das potentielle Fertigungsvolumen sowohl zum heutigen als auch zum künftigen Absatz des Auftraggebers passt. Geht es um Grossvolumen, so ist Asien hierfür oft noch  die beste Adresse.

Gerne geht im Sinne des Smart-Sourcing vergessen, dass es auch in der Schweiz immer noch sehr gut aufgestellte Lohnfertiger gibt, die internationalen Konkurrenten in vielen Belangen durchaus Paroli bieten können – auch dank Automatisierung und geringen Overheadkosten. Zudem macht Outsourcing im Sinne einer Verlagerung nur dann Sinn, wenn unternehmensintern die Bereitschaft vorhanden ist, Veränderungen sowie mögliche kulturelle und organisatorische Unterschiede in Kauf zu nehmen.

Verlagerung oder Auslagerung?

Zunächst einmal ist zu entscheiden, ob entweder die eigene Fertigung ausgelagert werden soll oder ob bereits gefertigte Teile bei Drittherstellern verlagert werden sollen. Der «Make or Buy»-Entscheid ist von strategischer Wichtigkeit – je nach Beschluss werden eigene Fertigungskapazitäten aus der Hand gegeben. Unternehmen, die ein Outsourcing ins Auge fassen, sollten daher diese Frage so objektiv wie möglich beantworten: Brauchen wir für den entsprechenden Bereich langfristig eher das Know-how oder die Kapazität im Unternehmen?

Geht es um eine Fertigungsverlagerung, so muss zwingend ein Pflichtenheft mit allen wichtigen Kriterien zur Produktpalette und zum Fertigungsumfeld erstellt werden. Es müssen qualitativ gute und umfassende Unterlagen wie z. B. Fertigungszeichnungen vorhanden sein. Auch sollte geklärt werden, welche Anforderungen punkto Supply Chain und Transportlogistik erfüllt sein müssen. Eine weitere, nicht weniger wichtige Voraussetzung: sowohl Bereitschaft als auch Möglichkeit, die eigenen Prozesse mit dem Outsourcing-Partner abzugleichen und – falls notwendig – anzupassen. Nur so können beide Seiten maximal profitieren. Dies alles braucht Zeit. Auch gilt zu bedenken, dass eine Umsetzung oft mit zusätzlichen Startkosten verbunden ist.

Welches Land ist das richtige?

Auch bei der Länderwahl sind Recherche und Analyse gefragt. Je nach Industriezweig kommen unterschiedliche Länder oder Regionen mit entsprechenden Expertisen in die engere Auswahl. Für Deutschschweizer Firmen zum Beispiel bieten sich in erster Linie Deutschland oder Österreich an. Wenn möglich, sollten Erfahrungswerte von bekannten Firmen für ähnlich gelagerte Produkte beziehungsweise Fertigungsprozesse in die Evaluation des Beschaffungsmarktes mit einfliessen. Beschaffungsmärkte können nämlich auch Absatzmärkte sein. Je nach Fertigungsart macht es Sinn, auf Low-Cost-Länder zuzugehen. Geht es beispielsweise um spezielle Formenbauten (kleine Stückzahlen aber hohe Produktevielfalt) oder um die Fertigung von ganzen Elektrobäumen, die viel Handarbeit erfordern, dann sollten die Länder in Mittel- und Osteuropa in den Auswahlfokus rücken. Bei all diesen Überlegungen dürfen auch wichtige Aspekte wie TTM (Time To Market) oder die Logistik nicht vergessen gehen.

Rahmenbedingungen klären 

Nach dem Entscheid für ein Land oder für eine Region steht die Evaluation der spezifischen Fertigungspartner (oder Gruppe von Fertigern) an. Für eine erste Ausschreibung müssen konkurrenzfähige Firmen mit der benötigten Kernkompetenz gefunden werden. Auch ist für eine erfolgreiche Zusammenarbeit – sowohl auf der Ebene von Management als auch von Einkauf und Technik – eine gemeinsame, gut verständliche Sprache (nebst Deutsch im DACH-Raum meist Englisch) elementar. Ebenso wichtig ist auch eine transparente Kommunikation: Entscheidungsträger sowie alle für die Gesamtdauer der Zusammenarbeit relevanten Kontaktpersonen haben sich mit dem Fertigungspartner auszutauschen. Gemeinsam sollte ein Pflichtenheft entwickelt werden, das auf dem Lieferantenfragebogen basiert und alle, für eine erfolgreiche Zusammenarbeit ausschlaggebenden Kriterien abdeckt.

Aus all den erarbeiteten Informationen und Erfahrungen ergibt sich anschliessend die Shortlist. Auf dieser sollten unbedingt auch valable Kandidaten figurieren, die einen benötigten Fertigungsprozess eventuell noch nicht anbieten, jedoch bereit wären, beispielsweise in zusätzliches Know-how oder Fertigungsmaschinen zu investieren. Bevor noch mehr Aufwand betrieben wird, sollte ein erster Besuch in Form eines Pre-Audits durchgeführt werden – zur Überprüfung, ob alle bisherigen Erkenntnisse auch der Realität entsprechen. Hierdurch wird eruiert, ob zwischen Entscheidungsträgern und Dienstleister ein grundsätzlich gleiches Verständnis für Ziele und Werte zu konkurrenzfähigen Konditionen besteht. Gleichzeitig sind alle operativen Erwartungshaltungen inklusive Transportbelange sowie das gesamte Supply-Chain-Management CM bis zum Lieferort zu definieren.

Fazit 

Noch immer wird der Einkauf vielfach an kurzfristig erzielten Savings gemessen. Zunehmend geht es aber darüber hinaus und Aspekte wie Langfristigkeit, Qualitätssicherung, Lieferfähigkeiten, strategische Überlegungen, die Optimierung der Lieferantenzusammenarbeit (zum Erreichen der bestmöglichen TCO), die Sicherung der Zukunft und den Zugang zu externem Fachwissen nehmen an Bedeutung zu.